kind of a crisis
Nun befinden wir uns schon seit knapp einem Dreiviertel Jahr in einem Quasi-Lockdown. Die Corona-Maßnahmen zum Schutz der Gesellschaft sind mal lockerer, mal strenger, ganz weg waren sie seit dem 16. März 2020 aber nie. Während es gemeinhin heißt, dass gerade die Online Branche boomed, trifft das tatsächlich nur auf die wenigen großen Online Händler zu, die bereits lange vor der „Krise“ als etabliert galten und einen festen Kundenstamm aufgebaut hatten.
Wir sind ein kleines Modelabel mit 3 Mitarbeitenden, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Lösungen für die massive Wasserverschmutzung der Modeindustrie zu entwickeln. Wir zeichnen uns durch unsere Innovationskraft aus, sind dafür aber auch langsamer mit der Produktentwicklung als es die meisten anderen Labels sind. Nach mittlerweile drei Jahren, wovon wir 2 Jahre firmiert operieren, haben wir uns einen kleinen aber treuen Kundenstamm aufgebaut. Wer bei uns kauft, kauft in der Regel auch noch ein zweites oder drittes Mal. Vor dem Ausbruch der Pandemie ging es uns deshalb gut. Zu Beginn des Jahres haben wir unser erstes eigenes Büro bezogen und einen Showroom eröffnet.
Leider startete nahezu zeitgleich der erste Lockdown. Unser Showroom ist seitdem mehr Deko als Verkaufsfläche und unsere Online Umsätze sind massiv eingebrochen. Als Modelabel, dass ausschließlich hochwertigste Rohstoffe aus Europe verwendet und zu 100% innerhalb der EU produziert, können wir preislich weder mit der Konkurrenz der Fast Fashion mithalten, noch mit den Bio-Baumwoll-Fair-Fashion-Labels. Außerdem war das Werbebudget, das erste was wir beim Umsatzeinbruch kürzen mussten, so war auch die Neukundengewinnung nahezu unmöglich.

Nun gab es ja glücklicherweise eine Corona Soforthilfe vom Bund und unserem Bundesland Berlin. Nach einer halben Ewigkeit in der Warteschlange, bekam ich Mitten beim Spielen auf der Wiese vor unserem Haus die erlösende E-Mail, dass ich innerhalb der nächsten 15 Minuten meinen Antrag stellen könne. In Null Komma nichts hoch in den vierten Stock und unter Keuchen den Laptop aufgeklappt, begann ich das glücklicherweise sehr einfach gehaltene Formular auszufüllen. Beim Abschicken dann die nächste Stresssekunde: Fehleranzeige „das Formular kann nicht gesendet werden“. Alle Eintragungen weg und mir läuft die Zeit davon. Nach drei weiteren Versuchen hat es dann glücklicherweise doch geklappt. Aufgrund der extrem hohen Nachfrage, gab es technische Schwierigkeiten. Dafür habe ich Verständnis. Dann die Überraschung: Die erlösende Überweisung ging bereits zwei Tage später auf unserem Konto ein. 9.000 € auf einen Schlag. Boom! Das war unerwartet. So unkompliziert ist man Hilfe vom Bund nicht gewöhnt. Die Freude war groß und die Hilfe war die Rettung.
Die ersten Monate konnten wir damit die ausbleibenden Umsätze ausgleichen und uns gut über Wasser halten. Nur so konnten wir weiter an unserer nächsten Kollektion arbeiten und alle Menschen, die mit uns arbeiten trotz Krisenzeit weiterhin beschäftigen und fair bezahlen. Denn von der Krise waren wir ja alle gleich betroffen.
Wobei – vielleicht auch nicht. Wir sind ein Familienunternehmen. Mein Geschäftspartner ist auch mein Lebenspartner und gemeinsam haben wir eine Tochter, die direkt zu Beginn des ersten Lockdowns ihren zweiten Geburtstag gefeiert hat. Während Freunde von uns die Zeit für den Aus-und Aufbau ihrer Unternehmen und Selbstständigkeiten nutzen konnten, standen wir jeden Morgen vor der immer gleichen Frage: Wer verbringt heute den Tag mit unserer Tochter und wer „kann“ arbeiten. Unter normalen Umständen hätten wir uns um ersteres geprügelt, diesmal aber ging es um das Überleben des Unternehmens, das wir seit drei Jahren aufbauen und in dem der eine die andere nicht ersetzen kann. Wir haben unterschiedliche Stärken und entsprechend unterschiedliche Aufgabenbereiche. Keiner funktioniert ohne den anderen. Wie aber alles wuppen, wenn zeitgleich dein Kind auf Familie, Freunde und sogar den geliebten Spielplatz verzichten muss und trotzdem irgendwie unterhalten werden möchte?
Natürlich bleibt in so einer Situation vieles auf der Strecke - im persönlichen aber auch im beruflichen Umfeld. Umso schöner, wenn dann wenigstens der Staat seiner Verantwortung nachkommt, und Unternehmen in der Krise unter die Arme greift. Die 9.000 € vom Anfang waren natürlich bereits im Frühsommer aufgebraucht. Glücklicherweise wurde immer wieder versprochen, dass es eine Neuauflage des Programms für die nächsten Monate geben würde. Einziger Haken: Die Antragstellung sollte ausschließlich über akkreditierte Steuerberater erfolgen, um Missbrauch zu vermeiden. Hmm ok, den haben wir, kein Problem also, oder? Leider doch!
Der Haken: Antragsberechtigt waren auch zu Beginn schon nur Unternehmen, die „2019 nicht in einer wirtschaftlichen Schieflage“ waren. Nun war 2019 unser erstes volles Geschäftsjahr als Unternehmen und – Surprise! – wie die meisten Start-ups konnten wir keinen Gewinn erwirtschaften. Statt dessen wies unsere Bilanz einen Fehlbetrag aus, den wir nicht durch zusätzliches Eigenkapital ausgleichen konnte, da wir als Familie bereits alles investiert hatten, was ging. Bei der ersten Antragstellung habe ich die Bedeutung der Aussage nicht verstanden. Die Steuerberaterin hingegen war gebunden an die Kriterien und konnte so keinen weiteren Antrag für uns einreichen.
Gefördert werden also doch wieder nur die Unternehmen, die bereits etabliert sind, im Zweifel sogar Rücklagen haben aufbauen können und die leider auch den Status quo aufrechterhalten anstatt zur Lösung der Krisen unserer Zeit beizutragen.
Damit wurden wir doppelt bestraft. Finanziell stand uns schon die erste Hilfe gar nicht zu und für die Zeit, in der unsere Tochter keine externe Betreuung hatte, wurden wir auch nicht entschädigt. Wie soll man so etwas aufbauen, das im besten Fall Arbeitsplätze und bessere Produkte schafft und dabei im Gegensatz zu den Firmen, die mit Milliardenhilfen „gerettet“ wurden, auf die aktuellen Herausforderungen unserer Zeit eingeht: Klimawandel, globale Handelsabhängigkeiten, Stärkung regionaler Industrie, Wasserresourcenmanagement, etc.!?
Wieder einmal zeigt sich wie viel wirklich hinter den Versprechungen steckt, die seitens der Politik immer wieder in Richtung Kreativwirtschaft und Start-up-Szene gegeben werden. Nämlich nichts! Investiert wird ins alte System von dem alle, die daran beteiligt sind in höchstem Maße profitieren. Fragt sich nur wie wir es so unseren Kindern schmackhaft machen sollen, sich zu engagieren und für einen Wandel einzusetzen. Am Ende werden einem die Flügel ja doch gestutzt.
Kurzum: Als Familie, als Unternehmerin, als Paar war und ist das Jahr 2020 ein absoluter Albtraum! Bleibt uns nur zu hoffen, dass sich das Blatt in 2021 wendet. Wir sind gespannt…