
Sprache und Sein
Bezeichnen unsere Worte eine bereits bestehende Realität? Oder ist es vielmehr umgekehrt – und die Sprache, die uns innewohnt, der wir folgen und der wir glauben, erschafft unser Erleben? Die Aktivistin und Journalistin Kübra Gümüşay, beschreibt in ihrem neuen Buch, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Poetisch, politisch, pointiert.
Für jene, die uns die Wege ebneten,
die vorausgingen, ohne sein zu können.
Bereits die Widmung ihres Buches wirft Fragen auf, leise, nur spürbar im Nachhall der Berührung, die ihre poetischen Worte auslösen. Wer oder was ebnete uns die Wege – und können auch wir die Wege ebnen, vielleicht sogar dort, wo wir dem Schmerz begegnen, jenem Schmerz darüber, dass wir noch nicht dort sind, wo wir doch längst so gerne wären?
Wir wollen also eine Veränderung, eine bessere Welt. Eine Welt, über die wir anders sprechen können, als wir es derzeit tun. Aber – und mit diesen Worten beginnt Kübra Gümüşay ihr Buch: Was war zuerst da, unsere Sprache oder unsere Wahrnehmung? Die Autorin, die ihrerseits leichtfüßig über die Grenzen von Sprachen und Kulturen zu springen scheint, thematisiert in ihrem ausdrucksstarken Manifest nicht nur Phänomene des menschlichen Sprachgebrauchs, sondern insbesondere auch Schwierigkeiten und Konsequenzen. Dabei trifft sie rhetorische Gewohnheiten, die uns im alltäglichen Leben kaum bewusst sind, so präzise auf den Punkt, dass wir unweigerlich die Chance annehmen, unsere Wahrnehmung zu hinterfragen. Unser Bewusstsein zu schärfen und unsere Nachlässigkeit zu überdenken. Was, wenn wir es schaffen können, weniger in Kategorien zu denken? Den Menschen in seinem persönlichen Ausdruck wahrzunehmen? Anders, ganz anders zu kommunizieren – und das in einer Zeit der immer härteren und oftmals hasserfüllten Diskurse? Was, wenn wir uns nicht gegenseitig in Gruppen hineinmanövrieren, sondern uns tatsächlich auf Augenhöhe begegnen?
Gemeinschaftliches Denken in einer sich polarisierenden Welt
Kübra Gümüşay setzt sich schon lange für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. Ihr Buch folgt der Sehnsucht nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Und bereits die ersten Seiten zeigen den Reichtum, den die Sprache uns schenken kann.
„So beschreibt das japanische Wort komorebi das Sonnenlicht, das durch die Blätter von Bäumen schimmert. Gurfa, ein arabisches Wort, steht für die Menge an Wasser, die sich in einer Hand schöpfen lässt. Das griechische Wort meraki beschreibt die hingebungsvolle Leidenschaft, Liebe und Energie, mit der sich jemand einer Tätigkeit widmet.“
Dass die Sprache die menschliche Wahrnehmung prinzipiell beeinflusst, ist wissenschaftlich hinlänglich bekannt und erforscht. Beispielsweise gibt es Sprachen, die keine geschlechtsspezifischen Artikel verwenden – und folglich auch weitaus länger geschlechtsneutral denken. Oder es gibt Völker, die keine sprachliche Vergangenheit kennen – und Vergangenes auch tatsächlich schneller vergessen. Wirklich problematisch ist die sprachliche Prägung unserer Gegenwart erst dort, wo der Mensch als Individuum unsichtbar und die Sprache zum politischen Instrument wird. Bereits 1960 thematisierte der Literaturwissenschaftler, Philosoph und Holocaust-Überlebende George Steiner die Wechselbeziehungen zwischen Sprache und politischer Unmenschlichkeit und beschrieb die deutsche Sprache als gekennzeichnet von „Heuchelei, Verstellung und vorsätzlichem Vergessen“. Ebenso sagte schon Kurt Tucholsky, dass Sprache eine Waffe sei. Zu häufig ist sie es, ohne dass die Sprechenden sich dessen bewusst sind. Aber – und darum geht es Kübra Gümüsay in ihrem Buch – sie [Sprache] kann unsere Welt nicht nur gefährden und begrenzen. Sondern auch unendlich weit öffnen. Und ein neues, gemeinschaftliches Denken möglich machen.
Kübra Gümüsay, geboren 1988 in Hamburg, ist eine der einflussreichsten Journalistinnen und politischen Aktivistinnen Deutschlands. In Hamburg und London studierte sie Politikwissenschaften, als Kolumnistin arbeitete sie für die tageszeitung und für TDEx stand sie mehrfach auf der Bühne. Sie ist Co-Gründerin von eeden, einem feministischen co-creation space in Hamburg, sowie zahlreicher Kampagnen und Vereine – u.a. die Antirassismus-Kampagne #SchauHin und die Kampagne »Organisierte Liebe«. 2011 wurde ihr Blog Ein Fremdwörterbuch für den Grimme Online Award nominiert und 2016 die von ihr mitbegründete Kampagne #ausnahmslos mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis ausgezeichnet. Nach Jahren in Oxford lebt sie heute mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Hamburg. Ihr Buch Sprache und Sein ist im Frühjahr 2020 bei Hanser Berlin erschienen.
die vorausgingen, ohne sein zu können.
Bereits die Widmung ihres Buches wirft Fragen auf, leise, nur spürbar im Nachhall der Berührung, die ihre poetischen Worte auslösen. Wer oder was ebnete uns die Wege – und können auch wir die Wege ebnen, vielleicht sogar dort, wo wir dem Schmerz begegnen, jenem Schmerz darüber, dass wir noch nicht dort sind, wo wir doch längst so gerne wären?
Wir wollen also eine Veränderung, eine bessere Welt. Eine Welt, über die wir anders sprechen können, als wir es derzeit tun. Aber – und mit diesen Worten beginnt Kübra Gümüşay ihr Buch: Was war zuerst da, unsere Sprache oder unsere Wahrnehmung? Die Autorin, die ihrerseits leichtfüßig über die Grenzen von Sprachen und Kulturen zu springen scheint, thematisiert in ihrem ausdrucksstarken Manifest nicht nur Phänomene des menschlichen Sprachgebrauchs, sondern insbesondere auch Schwierigkeiten und Konsequenzen. Dabei trifft sie rhetorische Gewohnheiten, die uns im alltäglichen Leben kaum bewusst sind, so präzise auf den Punkt, dass wir unweigerlich die Chance annehmen, unsere Wahrnehmung zu hinterfragen. Unser Bewusstsein zu schärfen und unsere Nachlässigkeit zu überdenken. Was, wenn wir es schaffen können, weniger in Kategorien zu denken? Den Menschen in seinem persönlichen Ausdruck wahrzunehmen? Anders, ganz anders zu kommunizieren – und das in einer Zeit der immer härteren und oftmals hasserfüllten Diskurse? Was, wenn wir uns nicht gegenseitig in Gruppen hineinmanövrieren, sondern uns tatsächlich auf Augenhöhe begegnen?


Gemeinschaftliches Denken in einer sich polarisierenden Welt
Kübra Gümüşay setzt sich schon lange für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. Ihr Buch folgt der Sehnsucht nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Und bereits die ersten Seiten zeigen den Reichtum, den die Sprache uns schenken kann.
„So beschreibt das japanische Wort komorebi das Sonnenlicht, das durch die Blätter von Bäumen schimmert. Gurfa, ein arabisches Wort, steht für die Menge an Wasser, die sich in einer Hand schöpfen lässt. Das griechische Wort meraki beschreibt die hingebungsvolle Leidenschaft, Liebe und Energie, mit der sich jemand einer Tätigkeit widmet.“
Dass die Sprache die menschliche Wahrnehmung prinzipiell beeinflusst, ist wissenschaftlich hinlänglich bekannt und erforscht. Beispielsweise gibt es Sprachen, die keine geschlechtsspezifischen Artikel verwenden – und folglich auch weitaus länger geschlechtsneutral denken. Oder es gibt Völker, die keine sprachliche Vergangenheit kennen – und Vergangenes auch tatsächlich schneller vergessen. Wirklich problematisch ist die sprachliche Prägung unserer Gegenwart erst dort, wo der Mensch als Individuum unsichtbar und die Sprache zum politischen Instrument wird. Bereits 1960 thematisierte der Literaturwissenschaftler, Philosoph und Holocaust-Überlebende George Steiner die Wechselbeziehungen zwischen Sprache und politischer Unmenschlichkeit und beschrieb die deutsche Sprache als gekennzeichnet von „Heuchelei, Verstellung und vorsätzlichem Vergessen“. Ebenso sagte schon Kurt Tucholsky, dass Sprache eine Waffe sei. Zu häufig ist sie es, ohne dass die Sprechenden sich dessen bewusst sind. Aber – und darum geht es Kübra Gümüsay in ihrem Buch – sie [Sprache] kann unsere Welt nicht nur gefährden und begrenzen. Sondern auch unendlich weit öffnen. Und ein neues, gemeinschaftliches Denken möglich machen.
Kübra Gümüsay, geboren 1988 in Hamburg, ist eine der einflussreichsten Journalistinnen und politischen Aktivistinnen Deutschlands. In Hamburg und London studierte sie Politikwissenschaften, als Kolumnistin arbeitete sie für die tageszeitung und für TDEx stand sie mehrfach auf der Bühne. Sie ist Co-Gründerin von eeden, einem feministischen co-creation space in Hamburg, sowie zahlreicher Kampagnen und Vereine – u.a. die Antirassismus-Kampagne #SchauHin und die Kampagne »Organisierte Liebe«. 2011 wurde ihr Blog Ein Fremdwörterbuch für den Grimme Online Award nominiert und 2016 die von ihr mitbegründete Kampagne #ausnahmslos mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis ausgezeichnet. Nach Jahren in Oxford lebt sie heute mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Hamburg. Ihr Buch Sprache und Sein ist im Frühjahr 2020 bei Hanser Berlin erschienen.